Rückrufaktionen: Der Kunde als Betatester?

  • Hallo,
    defekte Airbags, Autos, die bei voller Fahrt aus gehen oder Fußräume die regelmäßig voll Wasser laufen. In der letzten Zeit hört man wieder vermehrt von Rückrufaktionen im Grunde aller großen Hersteller.
    Egal ob kleine Einschränkung oder lebensbedrohlicher Defekt, oft sind Kleinteile, Cent-Massenware, Schuld, wenn ein 40.000€ Auto nicht so funktioniert, wie es soll.
    Sind denn nun die Hersteller schlampiger geworden in der Entwicklung? Ist der Kunde empfindlicher?
    Ein Hauptgrund besteht meines Erachtens darin, dass die Fahrzeuge immer komplexer und die Produktzyklen immer kürzer werden. Elektronische Bauteile (Steuergeräte) haben "analoge" Technik abgelöst. Zwar unterliegt ein Chip, im Gegensatz zu mechanischen Bauteilen, theoretisch keinem physischen Verschleiß mehr, jedoch besitzen "analoge" Bauteile den Charme, dass sie in der Regel funktionieren oder nicht. Software in heutigen Autos kann da deutlich komplexer sein. Bestimmte Kombinationen können hier zu Fehlverhalten führen, welches der Kunde im besten Falle als Komfortmangel, im schlimmsten Fall als lebensgefährliche Situation zu spüren bekommt. Zwar sorgen sich gegenseitig überwachende Systeme dafür, dass solche Situationen höchst unwahrscheinlich werden, dennoch kommt der Kunde sich als Betatester missbraucht vor. Das alles geschieht, obwohl Fahrzeuge noch nie so ausgiebig vor Marktstart getestet wurden, wie heute. Ist deshalb die böse Technik was schlechtes?
    Ich sage: Nein!
    Während Autos früher nach 100.000km in der Regel "verbraucht" waren, sind heutige Fahrzeuge dann gerade erst "eingefahren". Kapitale Motorschäden sind, trotz immer stärker werdender Aufladung, deutlich seltener als früher. Rost ist ebenfalls kein unlösbares Problem mehr, welches das Auto entweder dahinrafft oder das Fahrzeug zur Dauerbaustelle macht.
    Wer jetzt behauptet, dass Autos früher ja viel besser waren und Reparaturen günstiger, dem möchte ich entgegnen, dass es natürlich auch früher Autos gab, die 400.000km und mehr absolviert haben. Natürlich gab es auch früher Autos, die nach 150.000km das erste mal unplanmäßig in die Werkstatt mussten. ABER: Diese Autos mit deutlich über 300.000km Laufleistung waren früher die Ausnahme und auch von modernen Fahrzeugen gibt es sie. Die Wahrnehmung wird meines Erachtens dadurch verfälscht, dass von den alten Fahrzeugen eben nur noch diese unzerstörbaren, gepflegten Einzelstücke unterwegs sind und die Millionen "Brüder" und "Schwestern", die mit <100.000km die letzte Reise zum örtlichen Verwerter angetreten haben, schlicht in Vergessenheit geraten sind.
    Wenn heute bei einem Auto bei 150.000km ein Steuergerät für 1.500€ "aussteigt" wird auf die böse Technik geschimpft... vergessend, dass der alte XYZ 3 Autos zuvor bereits als kapitaler Rostschaden mit 98.000km seine Teilnahme am Straßenverkehr endgültig beendet hat.

    Mein Fazit: Technik ist teuer. Technik ist ein komplexes Buch mit sieben Siegeln und nicht unfehlbar. Dennoch bin ich froh, ein modernes Auto zu fahren, welches sich auch mit knapp 115.000km noch "frisch" anfühlt, die Temperatur automatisch regelt, unter 7 Liter verbraucht und sein eigenes Heck, dank ESP, selbst wieder einfängt, wenn es mal brenzlig wird.

  • Das die Hersteller "schlampiger" geworden sind, nein das würd ich jetzt nicht sagen.
    Der eine oder andere Käufer eines Fahrzeugs ist vielleicht empfindlicher geworden, das ja.
    Mit Recht würd ich sagen. Wobei das ja eigentlich prinzipiell nicht davon abhängig zu machen ist ob es sich jetzt z.B. um 30 Euro oder 30.000 Euro handelt. Die Leute denken sich natürlich wenn ich 30.000, 40.000 Euro oder so für den Wagen hinblättern muss da kann ich ich doch auch eine ordentliche Qualität verlangen. Um so mehr sind dann dann die Leute im Schadensfalle sauer wenn dann auch noch noch ein Kleinteil für ein paar Euro die Ursache für den ganzen Verdruß ist.

  • Ich schiebe es schon auf die Hersteller und Zulieferer. Kürzere Einführ und Probezeiten, schnelles einfließen in die Produktion und zum Schluß steht immer noch ein Mensch am Fließband der das Auto zusammenschraubt. Da wird eingespart am besten nix mehr geschraubt nur noch stecken, kleben usw. Komplette Module werden eingesetzt, Wartungen werden komplizierter gestaltet wegen dem Desigen. Beispiel Lampenwechsel. Bei Toyata wird auf Accord und Masse produziert und auf einmal ein Pedalgummi ist schuld. Bei VW Steuerketten. Bei Benz Injektoren usw.

    Wenn man tot ist, ist das für einen selber nicht schlimm, weil man ja tot ist ... schlimm ist es für die anderen .... genauso ist das übrigens wenn man doof ist! :D

  • Das stimmt schon was du sagst. Soll alles immer billiger werden, hier und da immer weitere Einsparungen usw. Das alles dann noch In Verbindung mit Massenproduktion - dass das nicht immer gut geht das ist klar.
    Aber ich muss doch als Kunde für soviel Geld wenigstens ein einwandfreies Auto verlangen können.
    Mir ist andererseits natürlich völlig klar das zwischen "soll" und "ist" leider immer wieder ein mehr oder weniger großer Unterschied besteht.

  • Also ich kann nicht sagen dass 300.000km früher die Ausnahme waren.
    Ich hatte zwei Escort Diesel die bei über 320.000 defekt gingen und meine Eltern fuhren einen MB 230TE ( neu gekauft Anfang der 80er ) der bei über 500.000 in den 90ern dann eine ATM bekommen hat.

  • Soll alles immer billiger werden, hier und da immer weitere Einsparungen

    Aber ich muss doch als Kunde für soviel Geld wenigstens ein einwandfreies Auto verlangen können

    Und genau da liegt der Widerspruch! Autos müssen, bei mehr Sicherheits- und Komfort-Features, sowie immer strengeren Umweltauflagen immer günstiger (oder zumindest nicht teurer) werden. Zusammen mit steigenden Löhnen (nicht Real-Löhnen) und der sonstigen Inflation gibt es irgendwann ein großes Dilemma. Obwohl die Forschung und Entwicklung immer noch stetig teurer wird, kommt sie auf Grund der steigenden Komplexität der Systeme nicht mehr nach.
    Gerade was die Produktion angeht, hat sich Gott sei dank, Einiges zum Positiven entwickelt. Fehlerhafte Montagen und Bauteile werden immer seltener, da Kontrolle vorher günstiger ist als der Austausch später. Generelle Bauteil-Fehler - gerne im Software-Bereich - tauchen aber leider oft erst beim Kunden auf und das trotz Millionen Test-Kilometern und erstrecken sich dann, nicht selten, auf Grund des beliebten Baukasten-Systems, über mehrere Baureihen und/oder sogar Fabrikate.

  • Zitat

    ...gibt es irgendwann ein großes Dilemma.

    Das mein ich ja - da darf man ja mal gespannt sein wie sich das in der Zukunft noch entwickelt.

    Obwohl die Forschung und Entwicklung immer noch stetig teurer wird, kommt sie auf Grund der steigenden Komplexität der Systeme nicht mehr nach

    Und da haben wirs übrigens wieder:
    Da müssen eben die Kunden die Forscher und Entwickler als "Betatester" unterstützen. ;)
    Wer sollte da besser dazu geeignet sein als die die das ganze später auch im Alltag verwenden werden.

  • Zitat

    Also ich kann nicht sagen dass 300.000km früher die Ausnahme waren.
    Ich hatte zwei Escort Diesel die bei über 320.000 defekt gingen und meine Eltern fuhren einen MB 230TE ( neu gekauft Anfang der 80er ) der bei über 500.000 in den 90ern dann eine ATM bekommen hat.

    jopp ! ... siehe z.b. alle Mercedes W Serien alle Diesel locker weit über 300.000km ohne Probleme.


    Nun kann man aber auch heute nicht mit damals vergleichen.
    Was hatte nen Auto früher ? Lichtschalter, Batterie vielleicht sogar noch 6V und ne Glühlampe und fertig. so in etwa jedenfalls.
    Die Technik ist ja auch viel anspruchsvoller geworden und viel komplexer.

    Früher hattest hinten Blattfedern fertig ... heute komplexe Multiverbundlenkerachsen.
    Siehe neuen Mondeo die Hinterachse ... da muss man erst mal durchsteigen.

    Früher hattest keine geklebten Blechteile heute schon.
    Der Vergleich früher und heute kann man nicht wirklich nehmen leider.

    Mondeo 2.2TDCI 200PS mit Aisin Wandler Bj. 04/2011
    Div. Einbauten : Tieferlegung H&R 40mm - Scheinwerferfolien - Auspuffblenden - Tomanson TN16 19" mit 235/40R19

  • Sind denn nun die Hersteller schlampiger geworden in der Entwicklung? Ist der Kunde empfindlicher?


    "Weder - noch" lautet meine Antwort. Die Empfindlichkeit des Kunden hat nur mittelbar etwas mit den Rückrufen zu tun. Wann ein Rückruf zwingend zu erfolgen hat, ist in vielen Ländern per Gesetz oder Verordnung festgelegt. Daneben gibt es natürlich noch die Befindlichkeit des Herstellers, der dann aus Imagegründen einen Rückruf veranlassen kann. Das hat in aller Regel seinen Hintergrund in eklatanten qualitativen Mängeln, die die Kundenzufriedenheit nachhaltig negativ beeinflussen könnten.
    Aufgrund der mit den Rückrufen verbundenen Kosten wird von letzter Möglichkeit äußerst ungern und nur im absoluten Ausnahmefall Gebrauch gemacht.

    Bleibt noch die Frage zu klären, warum meiner Meinung nach die Hersteller nicht schlampiger geworden sind. Bevor das Produkt in Kundenhand gerät stehen die Stufen Forschung, Design, Entwicklung und Produktion. Eine gängige Daumenregel besagt, dass die Beseitigung eines Fehlers in einer nachfolgenden Stufe Kosten mit dem Faktor 10 verursacht. Nicht zuletzt das ist der Grund für jeden Hersteller, Rückrufe und Garantiereparaturen auf ein Minimum zu beschränken.
    Warum häufen sich dann trotzdem die Nachrichten über Rückrufe? Das hat zwei entscheidende Gründe. Zum einen steigt die Zahl der verbauten Teile am Fahrzeug immer noch an. Rein statistisch steigt mit der Anzahl der Teile auch absolut die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers in der Gesamtheit aller Teile.

    Zusätzlich steigt die Anzahl der betroffenen Fahrzeuge durch die Gleichteile-Strategien. Man schätzt, das Volkswagen allein derzeit um die fünf Millionen Fahrzeuge mit dem konzerneigenen Modularen Querbaukasten (MQB) ausstattet. Auch untereinander tauschen Hersteller Teile oder gar ganze Fahrzeuge aus, wie die Kooperation von Ford mit PSA bei den Dieselmotoren oder die nahezu eineiigen Zwillinge Toyota GT-86 und Subaru BRZ bezeugen können.
    Dadurch werden auf immer breiterer Front ganze Fahrzeugflotten anfällig für einzelne Fehler und stetig steigt die Zahl der zurückgerufenen Fahrzeuge.

    Was dem Kunden heutzutage vielleicht noch eher das Gefühl vermittelt, Betatester zu sein, ist das Auftreten von schwer erklärbaren Fehlern, denen sowohl er selbst als auch der Händler manchmal ratlos gegenüber steht. Selbst einfachste Funktionen hängen heute am fahrzeugumspannenden Bus Netzwerk und ich denke in Zukunft sogar mit dem anderer Fahrzeuge.
    Wenn in der guten alten analogen Zeit (die hier ja bereits heraufbeschworen wurde) die Fensterkurbel klemmte, half oft ein Tropfen Öl. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der Fehler in einem defekten Außentemperatursensor zu suchen gewesen wäre.
    OH

    Die schnellste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade.
    Die von den meisten Fahrern am wenigsten beherrschte Strecke zwischen zwei Geraden ist eine Kurve.
    Was das heißt?

    Geradeaus sind wir alle schnell !!!

    Achtung! Beiträge können Ironie enthalten! Ironie unterliegt nicht der Kennzeichnungspflicht!

    Meine Beiträge in diesem Forum geben ausschließlich meine persönlichen Meinungen und Wissensstände wider.

  • Wenn in der guten alten analogen Zeit (die hier ja bereits heraufbeschworen wurde) die Fensterkurbel klemmte, half oft ein Tropfen Öl. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der Fehler in einem defekten Außentemperatursensor zu suchen gewesen wäre

    Sehr gut ausgedrückt - Ein Satz der die Situation stellvertretend sehr gut beschreibt!

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